Montag, 17. April 2023

Der in Eislingen aufgewachsene Joachim Schuster war Bürgermeister in Südbaden und Fußball-Diplomat

Der Spielführer

Mit Fußball kann man Politik machen – so oder so. Ein Negativbeispiel bot die vergangene WM. Dass es auch ganz anders geht, zeigt die Vita des in Eislingen aufgewachsenen, Neuenburger Bürgermeisters Joachim Schuster: Er hat seine sportlichen Erfahrungen für diplomatische Missionen, weltweite Hilfe für Bedürftige und Team-Building genutzt.

Joachim Schuster war Bürgermeister der jüngsten und bislang kleinsten Landesgartenschau-Gemeinde Neuenburg, in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Bonn tätig und in Gremien kommunaler Verbände aktiv; und, er hat die Trainer-A-Lizenz des DFB. Die Grundlage dafür war in seiner Zeit beim 1.FC Eislingen gelegt worden, sagt er. Denn die wichtigsten Skills habe er dadurch erhalten, dass er eines war und ist: Fußballer.

Er hat eine Menge spannende Geschichten zu erzählen. Nicht nur weil er viele Jahre Kopf der Bürgermeister-Nationalmannschaft war, sie unter das Dach des DFB und 2008 zur Europameisterschaft gegen die Azzurri führte. Es sind vielmehr aus zahlreichen Erlebnissen gefilterte Anekdoten, die ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte widerspiegeln.

Von der GSG9-Begleitung einer von ihm geführten Fahrt des konsularischen Corps nach Baden-Württemberg bis zur eigenen Fahrt im Vereinsbus des FCE über das Spielfeld um Schiedsrichterkollegen aus dem mit tausenden Besuchern besetzten Eislinger Eichenbachstadion nach einem Pokal-Derby gegen den Göppinger Sportverein zu evakuieren und vor erhitzten Gemütern und fliegenden Schirmen zu schützen.

Man erschnuppert förmlich die verrauchte Atmosphäre in den achtziger Jahren, wenn er berichtet, wie er bei seiner Tätigkeit in der Landesvertretung von Baden-Württemberg miterlebte, dass vier Ministerpräsidenten von CDU und SPD bei einer nächtlichen Skatrunde eine knappe Bundesratsentscheidung in die andere Richtung drehten und die damit die CSU kalt stellten. 
Beachtlich, wie er die Bürgermeister-Nationalmannschaft neben seiner Tätigkeit als Schultes nicht nur zu einem erfolgreichen Team formte, sondern auch zu weltweiten Botschaftern machte, die soziale Projekte unter vielen anderen in Südafrika unterstützten, Yad Vashem und Auschwitz besuchten, unter schwierigen Verhältnissen in Eriwan kickten, gegen eine Auswahl des ZDF-Sportstudios in Brasilien antraten, die Chinesen zu Klaus Schlappners Zeiten als Bundestrainer ob ihrer Qualität so in Not brachten, dass alle Sportlehrer der Region Peking antreten mussten um gegen die deutsche Schultesmannschaft mithalten zu können. 
Es klingt ein bisschen nach Rudi Gutendorf, nur politischer. „Fußball war stets ein Türöffner“, erzählt Joachim Schuster, der auch weitere Mannschaften (kommunal-)politischer Akteure begründete. Bei den Begegnungen auf internationalem Parkett an der Schnittstelle zwischen Diplomatie, karitativem Wirken und sportlichem Spaß habe sein Freund Walter Eschweiler eine wichtige Rolle gespielt, betont der Schwabe aus Südbaden. Eschweiler, der bei der WM 1982 als Schiedsrichter durch einen Purzelbaum, bei dem er einen Zahn verlor weltberühmt wurde, war beim Auswärtigen Amt beschäftigt. Aufsehen erregte ein Länderspiel gegen Ungarn vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, das mit Hin- und Rückspiel seinen Beitrag zum Wandel leistete.

Angefangen hatte alles für den gebürtigen Wiesensteiger 1963 mit dem Umzug nach Eislingen-Nord. Vater Hans war Lehrer und hatte eine Stelle in der damaligen Grund- und Hauptschule in der Ebertstraße angetreten. Da seinerzeit noch Präsenzpflicht bestand, zog die Familie um, die Eltern mit den Kindern Sabine, Hans-Dieter und Joachim, der fortan im blau-weißen Dress kickte.

Dass der bekennende Groß-Eislinger (Nord) zum FC kam, war also nicht zwangsläufig. Bereut hat es der Katholik allerdings nie. Noch heute schätzt Schuster die Erfahrungen und den Zusammenhalt der „FC-Familie“. Obwohl er seit Jahrzehnten in anderen Teilen der Republik lebt und wirkt. Seit 32 Jahren ist er Bürgermeister in Neuenburg am Rhein, 200 Millionen Euro wurden in dieser Zeit investiert, die Einwohnerzahl wuchs auf 12.500. Am 31. Mai wird sein letzter Arbeitstag dort sein, rund zwei Wochen nach seinem 67. Geburtstag.

Inzwischen ist Neuenburg auch zu seiner Heimat geworden, er hat dort gebaut, die Tochter ist verwurzelt. Und die Menschen schätzen ihn, möchten ihn nicht mehr missen. Das größte Kompliment als Bürgermeister hat er schon bekommen: „Sie werden doch hoffentlich auch nach Ihrer Amtszeit hier bleiben?!“ Er wird bleiben. Anders werden wird allerdings der Tagesablauf. Endlich wieder Herr seines Terminkalenders zu sein, sehnt Schuster herbei, und natürlich: wieder mehr Sport. „AH-Mannschaften suchen junge Nachwuchstalente“, sagt Schuster schmunzelnd. Und auch das nahe gelegene Elsaß hält noch unentdeckte Bereiche bereit.

Keinesfalls abreißen wird der Kontakt ins Filstal. Das ist er in all den Jahren in Baden und Bonn nicht. Die Karfreitagswanderung des FCE hat er praktisch nie verpasst und beste Erinnerungen daran.

Hier hat er gekickt, mit großen Namen, beispielsweise mit Gromer und Interwies, dem heutigen Präsidenten. Früh übernahm er als Trainer Jugendmannschaften, trainierte unter anderen den heutigen FCE-Vorsitzenden Thomas Rupp mit dem er bis heute befreundet ist. War Co-Trainer von Manfred Römer bei der Ersten Mannschaft, die gerade aus der Oberliga abgestiegen in der Verbandsliga um den Aufstieg kämpfte. Er war Schülerleiter. Viele Neuerungen wurden eingeführt, die Jugendarbeit auf professionelle Beine gestellt, wovon der Verein bis heute profitiert. Auch seine Frau Catrin hat er beim FCE kennengelernt; sie ist die Tochter von Ehrenmitglied Edgar Papp aus der Bergstraße.

„Es war eine tolle Zeit“, sagt er im Rückblick. Aber nicht nur der sportlichen Erlebnisse und Erfolge wegen. Reisen nach Schottland erwähnt Schuster unter vielem Anderem.

Dass er als Schwabe im tiefsten Südbaden vor 32 Jahren Bürgermeister werden sollte – auch das hat mit dem Fußball zu tun. Der damalige Justizminister und Minister für Bundesangelegenheiten, Dr. Heinz Eyrich, bat seinen Mitarbeiter Joachim Schuster um die Organisation eines Fußballspiels in seinem Wahlkreis Lörrach im Rahmen des laufenden Landtagswahlkampfes. Am Rande des Matches wurde Schuster auf den freiwerdenden Rathaussessel in Neuenburg angesprochen. Bereits im ersten Wahlgang konnte Schuster die fünf Mitbewerber hinter sich lassen und mit 64% gewinnen. Drei überzeugende Wiederwahlen folgten.

Es verwundert wenig, dass auch bei der Bilanz seiner Amtszeit in Neuenburg der Spielführer spricht: Letztendlich sei auch der Gemeinderat eine Mannschaft mit Stürmern, Verteidigern, linken und rechten Flügelflitzern. Hier komme es „auf die Mannschaftsführung an“, die Räte mitzunehmen, ins Spiel einzubinden und nach hartem Kampf in der Sache bei Nachsitzungen wieder zusammenzufinden. So sei er mit sieben Gemeinderats-Generationen während seiner Amstzeit „super ausgekommen“, das Verhältnis sei zu allen „menschlich super“ gewesen. Auch dabei habe der Fußball verbindend gewirkt, ebenso wie gemeinsame Ausflüge und Klausuren. Nachsitzungen finden im Ratssaal statt, mit badisch-elsässischer Note. So sei es gelungen, die ganz wichtigen Beschlüsse ausnahmslos einstimmig zu treffen, beispielsweise auch den zur LGA), sagt Schuster nicht ohne Stolz.

Zu Beginn seiner Verwaltungslaufbahn, zu Stuttgarter Studienzeiten war der Diplom-Verwaltungswirt auch auf dem Eislinger Rathaus, hat Wecken für die Stadträte belegt.

Aus dem Neuenburger Rathaus verabschieden wird sich Joachim Schuster an seinem letzten Arbeitstag unprätentiös, vielmehr seiner Amtszeit entsprechend volksnah. „Keine Feier mit langen Reden“, sagt Schuster. Dafür wird es nach dem Schlusspfiff eine Party auf dem Rathausplatz mit Essen und Trinken geben; und sicherlich auch mit einer Eislinger Delegation rund um Thomas Rupp und Rainer Interwies.

Zitat Joachim Schuster: "Fußball zeigt dass Bürgermeister nicht nur Alpahtierchen, sondern auch teamfähig sind."

  


#1FCE